Meine Rede auf der #SaveYourInternet - Demo am 23.03.2019 in Köln:
Anmerkung: Die Nummerierung hat sich noch kurzfristig verschoben; der Artikel 12 heißt jetzt Artikel 16.
Mark Twain hat einmal gesagt: "Es ist leichter, die Leute zum Narren zu halten, als sie davon zu überzeugen, dass sie zum Narren gehalten wurden."
Der Mann hatte Recht! Anders ist nicht zu erklären, dass immer noch so viele Künstler und Urheber - so viele Autoren, Journalisten, Komponisten, Textdichter - für die Urheberrechtsrichtlinie sind.
Und das, obwohl Artikel 12 der Richtlinie die Grundlage dafür schaffen soll, ihnen direkten finanziellen Schaden zuzufügen, ihnen Teile ihres Verdienstes vorzuenthalten.
Bevor ich zum Artikel 12 komme, ein kleiner Blick in die Vergangenheit und die Praxis der Verwertungsgesellschaften:
2012 hat der Europäische Gerichtshof festgestellt, dass ein belgisches Gesetz, welches Verleger an den Verdiensten aus Zweitverwertung beteiligt, unrechtmässig ist.
Aber nicht nur in Belgien, sondern auch in Deutschland haben die Verwertungsgesellschaften - namentlich die VG Wort und die GEMA - jahrzehntelang pauschale Anteile vom Geld, das den Urhebern zustand, an die Verleger gezahlt. Bei der GEMA waren das 40%, ungeachtet dessen, ob die Künstler einen Vertrag mit einem Verleger hatten, oder wie dieser aussah. Bei der VG Wort waren es sogar bis zu 50%.
Martin Vogel hat deswegen gegen die VG Wort geklagt, und in allen Instanzen gewonnen, bis einschließlich vor dem Bundesgerichtshof. Die VG Wort hat argumentiert, die kleinen Verleger wären auf diese Gelder angewiesen, um zu überleben. Die VG Wort hat über eine Million Euro an Anwalts- und Gerichtskosten ausgegeben, Geld ihrer Mitglieder, der Autoren! - um weiterhin genau diese Autoren um ihren Verdienst zu prellen. Insgesamt ging es dabei um 175 Millionen Euro, und nur ab 2012 bis 2067.
Diese Zahl muss man sich auf der Zunge zergehen lassen - 175 Millionen Euro!
Bruno Gert Kramm hat gegen die GEMA geklagt, und ebenfalls in allen Instanzen gewonnen. Bei der GEMA ging es um mehrere hundert Millionen Euro.
Wie gierig, wie unmoralisch, muss man sein, um die eigenen Mitglieder derart über den Tisch zu ziehen?
Beide, die VG Wort und die GEMA, haben nach den letztinstanzlichen Urteilen ihre Mitglieder aufgefordert, auf ihre Rechte und auf ihre Geld zu verzichten - und viele haben das sogar unterschrieben! Für mich ist das völlig unverständlich. Mark Twain hat es verstanden.
Was hat das jetzt mit Artikel 12 zu tun?
Nun, Artikel 12 soll die Grundlage schaffen, genau diese Praxis zu legalisieren.
Im Artikel 12 steht:
"Member States may provide that where an author has transferred or licensed a right to a publisher, such a transfer or a licence constitutes a sufficient legal basis for the publisher to be entitled to a share of the compensation for the uses of the work made under an exception or limitation to the transferred or licensed right.
The first paragraph shall be without prejudice to existing and future arrangements in Member States concerning public lending rights."
Auf deutsch:
Mitgliedsstaaten können festlegen, daß, wenn ein Autor Rechte an einen Verleger übertragen oder lizenziert hat, eine solche Übertragung oder Lizenzierung eine ausreichende rechtliche Basis darstellt, dass der Verleger einen Anteil an Zahlungen für den Gebrauch des Werks unter einer Ausnahme oder Begrenzung der übertragenen oder lizenzierten Rechte erhält.
Absatz 1 berührt nicht die in den Mitgliedstaaten bestehenden und künftigen Vereinbarungen über öffentliche Verleihrechte.
Im Klartext bedeutet das, Verleger und Verwertungsgesellschaften wollen legalisieren, was sie jahrzehntelang illegal praktiziert haben.
Natürlich verteidigen Verwerter und Verleger dies und spielen die Konsequenzen herunter; es sei ja noch kein Gesetz, und es sei ja alles zum Besten ihrer Autoren. Sie versuchen, ihre Mitglieder dazu zu bringen, sich - ganz offen gesagt - über den Tisch ziehen zu lassen. Und wir, die wir dagegen protestieren, werden dargestellt als die Bösen, die das Urheberrecht abschaffen und die Autoren den Wölfen zum Fraß vorwerfen wollen.
Die Wölfe sind nicht wir - die Wölfe tragen Schafspelze und sitzen in den Verwertungsgesellschaften, die die Künstler schützen sollten!
Ich frage nochmal: Wie gierig, wie unmoralisch muss man sein, um die Menschen, die man vertritt, derart um ihren Verdienst zu prellen?
Liebe Autoren, Journalisten, Komponisten, Textdichter, liebe Künstler - lasst euch nicht das Fell über die Ohren ziehen!
Unterschreibt keine Erklärungen, in denen ihr auf eure Rechte und euer Geld verzichtet.
Wehrt euch - wehrt euch mit uns gegen eine Richtlinie, die euch ans Portemonnaie geht!
Artikel 12 bereitet genau das wieder vor, und er tut es in einer überraschend klaren Sprache für das so komplizierte Urheberrecht.
Und damit möchte ich mit einem weiteren Zitat von Mark Twain zum Schluss kommen:
"Es gibt nur eines, was für Gott unmöglich ist: Irgendein Urheberrechtsgesetz auf dieser Welt zu verstehen."
Danke sehr!
Meine Rede auf der #SaveYourInternet - Demo am 09.03.2019 in Köln:
Die meisten von uns sind heute hier wegen Art. 13 der Urheberrechtsreform.
Es gibt aber noch andere gefährliche und schädliche Artikel.
Artikel 11 gehört dazu, das Leistungsschutzrecht, auch Link Tax genannt, und darüber möchte ich ein paar Worte sagen.
Medien stehen heute in einer harten Konkurrenz zueinander; in den letzten 30, 40 Jahren hat sich die Medienlandschaft stark konsolidiert. Wo es früher eine Vielzahl unabhängiger Zeitungen gab, bestimmt heute eine bloße Handvoll großer Medienkonzerne weltweit die Berichterstattung mit Print, Onlineausgabe, TV und Radio.
Bei uns sind es Springer, Burda, Bertelsmann, Murdoch.
Vergleicht einfach mal Artikel in der Presse, egal, ob auf Papier oder Online: Ihr werdet feststellen, dass sie oft Wort für Wort übereinstimmen. Das Layout ist leicht unterschiedlich, der Text identisch. Er wird von einer Agentur übernommen.
Zugleich ist heute der Druck, der Erste zu sein mit einer Story, ungleich höher als noch vor ein paar Jahrzehnten. Der größte Politikskandal des zwanzigsten Jahrhunderts, Watergate, wurde nicht von jetzt auf gleich veröffentlicht - Bob Woodward und Carl Bernstein haben monatelang recherchiert. Heute wäre das nicht mehr möglich. Heute ist der Druck, der Erste mit der Story zu sein, viel größer als die Gefahr, sich mit Falschmeldungen zu blamieren. Heute gibt es kaum noch investigative Journalisten, die so sorgfältig arbeiten wie Woodstein und die Washington Post damals.
Was hat das mit Artikel 11 zu tun?
Aktuell ist es möglich, auf falsche Schlagzeilen und schlecht recherchierte Stories in mehr als nur den Kommentaren und Leserbriefen zu reagieren. Zu Zeiten vieler unabhängiger Zeitungen hat sich die Presse selbst kontrolliert.
Heute liegt es an uns, das Regulativ der Presse zu sein. Es sind die Blogger, die facebook-Nutzer und Twitterer, die der Presse auf die Finger schauen.
Artikel 11 bedeutet das Ende dieses Regulativs.
Der Link ist sowohl Zitat als auch Quellenangabe, er ist unbedingt erforderlich - und für den bloßen Link soll gemäß Art. 11 eine Lizenz nötig werden.
Diese Lizenz kann kostenpflichtig sein, oder sie kann ganz verweigert werden.
Die Großen können sich gegenseitig pauschal lizenzieren - ich verlinke deinen Kram, du verlinkst meinen Kram. Eine Hand wäscht die andere. Das gilt natürlich besonders, wenn sie zum selben Konzern gehören! Da ist die Konkurrenz nur scheinbar.
Die Großen sind aber nicht das Regulativ, sondern die Kleinen sind es, und diese Kleinen sind wir.
Die Großen haben ein gewaltiges wirtschaftliches Interesse daran, meinungsbildend zu sein - da stören die Kleinen nur. Wer Meinung bildet, der verkauft!
Wir Kleinen sollen kaufen und nicken, aber nicht nachdenken und schon gar nicht widersprechen. Deshalb werden die Lizenzen gar nicht erst vergeben - oder so teuer gemacht, dass kein Blogger sie sich leisten kann.
Dabei geht es nicht wirklich darum, durch Lizenzen mehr Geld zu machen, nicht darum, Tante Google abzuzocken - es geht darum, durch Lizenzen Hürden aufzubauen. Hürden für Recherche durch Dritte. Hürden für Widerspruch.
Nicht nur die Medienkonzerne könnten durch die Steuerung der Lizenzvergabe Kritik mundtot machen, sondern auch solche, die kritikwürdige Ideologien verbreiten. Sie können verhindern, dass ihnen erkennbar widersprochen wird, indem sie die Verlinkung und damit die Angabe, wem widersprochen wird, verhindern.
Artikel 11 wäre das Ende von Webseiten wie Psiram, snopes oder Mimikama, Blogs wie Salonkolumnisten oder Frau Sofa. Wir wären wieder reduziert auf Kommentarspalten - die Entsprechung zum Leserbrief von früher - und die unterliegen komplett der Kontrolle derer, die wir kritisieren und richtigstellen. Wie viel Kritik könnten wir wohl noch anbringen? Wie weit könnten wir noch korrigieren? Für viele Veröffentlichungen wird bereits kein Kommentar mehr zugelassen. Quellenangaben in Form von Links zu unseren Behauptungen könnten wir auf nicht mehr machen, was uns automatisch unglaubwürdig macht. Keine Quelle - keine Glaubwürdigkeit.
Artikel 11 zensiert uns, die Leser und Nutzer.
Artikel 11 wird verhindern, dass wir zusätzliche Fakten liefern. Er wird verhindern, dass wir schlecht recherchiertes und tatsächliche Fake News richtigstellen. Artikel 11 soll uns zum Schweigen bringen!
Und das darf nicht sein.